Zehntausende Postler*innen in Berlin
Der Blick von der Bühne war überwältigend: Zwischen Brandenburger Tor und Siegessäule hatten sich am 9. Oktober in Berlin mehr als 30.000 Beschäftigte der Deutschen Post AG auf der Straße des 17. Juni zu einer Großdemonstration versammelt. Die Kolleg*innen trugen ihre gelben bzw. rotgelben Postuniformen und schwenkten Fahnen mit dem roten ver.di-Logo. Unter dem Motto „Für die Zukunft unserer Arbeitsplätze“ brachten sie in unmittelbarer Nähe zum Reichstag und zum Regierungssitz lautstark ihren Unmut über die bisher bekannten Pläne zur Novellierung des Postgesetzes zum Ausdruck. Aus dem ganzen Land waren die Kolleg*innen angereist, hatten teilweise eine zehn- bis zwölfstündige Busfahrt auf sich genommen, um dabei zu sein.
Die Ampelkoalition hat die Überarbeitung des Postgesetzes in den Koalitionsvertrag aufgenommen. Wie genau das neue Gesetz aussehen soll, ist noch offen, ein Referentenentwurf wird in Kürze erwartet. Erste Eckpunkte der Novellierung wurden jedoch im Frühjahr dieses Jahres publik. Sie waren für die Beschäftigten eine herbe Enttäuschung: Weder ist ein Verbot des Subunternehmertums in der Branche vorgesehen noch eine erweiterte Lizenzpflicht auch für den Paketdienst. Stattdessen verschaffen sich in der Wirtschaft und in der Politik zunehmend Kräfte Gehör, die den Wettbewerb im schrumpfenden Briefmarkt verschärfen, die Zustelltage reduzieren und den Universaldienst einschränken wollen. Für die Arbeitnehmer*innen der Deutschen Post AG und weiterer tarifgebundener Postdienstleister wäre es eine Katastrophe, wenn Postdienstleistungen allein dem Markt überlassen würden. Zehntausende von Arbeitsplätzen wären in Gefahr.
Fairer Wettbewerb!
So zeigten sich die Redner auf der Kundgebung kämpferisch: Thomas Held, Vorsitzender des Gesamtbetriebsrats der Deutschen Post AG, war „total begeistert“ von der großen Präsenz. „Euer Krach soll bis zum Bundestag reichen, wir können noch lauter werden, wenn das Postgesetz nicht in unserem Sinne überarbeitet wird. Es geht um unsere Arbeitsplätze!“ Schließlich stehe im Koalitionsvertrag, dass im Gesetz soziale und ökologische Standards weiterentwickelt und ein fairer Wettbewerb gestärkt werden sollen. „Die Eckpunkte des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz zur Veränderung des Postgesetzes sind jedoch für uns in der jetzigen Form nicht akzeptabel“, so Held. Die Finanzierung des Postdienstes muss sichergestellt werden, andere EU-Länder ließen sich dies Milliarden kosten. Spanien bringe 3,8 Milliarden Euro, Frankreich 2,3 Milliarden Euro und das kleine Belgien 1,6 Milliarden Euro für die Finanzierung des Postdienstes auf. In Deutschland gebe es lediglich eine Umsatzsteuerbefreiung. „Das muss verändert werden!“ ver.di wolle den Wettbewerb nicht verbieten, sondern einen fairen Wettbewerb initiieren, der nicht auf Kosten der Beschäftigten geht. „Unsere Arbeitsplätze sind sozialversicherungspflichtig und tarifgebunden. Diese Arbeitsplätze und Arbeitsbedingungen gilt es, durch das Postgesetz zu schützen. Wir fordern die Politik auf, einen funktionierenden Universaldienst sicherzustellen.“
Held betonte die außerordentlichen Leistungen, die von den Beschäftigten der Deutschen Post AG in der Coronazeit erbracht wurden: „Ihr habt an jedem Tag an jeden Haushalt geliefert, habt die Bevölkerung mit Waren und Produkten sowie lebensnotwendigen Medikamente versorgt. Ihr wart einer der Motoren dieses Landes, habt den Laden aufrechterhalten. Ihr seid die Post für Deutschland. Euch gilt höchster Respekt und Dank.“
"Größte Post-Demo in der Geschichte Deutschlands"
Auch der ver.di-Vorsitzende Frank Werneke freute sich über den großen Zuspruch, die die Demonstration gefunden hatte. „Das ist die größte Post-Demo in der Geschichte Deutschlands“, rief er. Werneke betonte die Zuverlässigkeit, mit der die Beschäftigten ihre schwere Arbeit tun. „Nach Corona sind die Belastungen nicht weniger geworden. Ihr habt ein gutes Postgesetz verdient, ihr seid es wert. Im Koalitionsvertrag steht Großes dazu. Ihr seid heute hier, damit die hehren Ziele auch in das Gesetz kommen.“
In keiner anderen Branche versuchten so viele Unternehmen, mit Dumpinglöhnen und schwierigsten Arbeitsbedingungen ihr Geschäft zu machen, betonte Werneke. 14.000 Subunternehmer gebe es in der Branche, davon fast 11.000 mit weniger als zehn Beschäftigten. Das sei kein Zufall, da der gesetzliche Kündigungsschutz erst ab zehn Mitarbeiter*innen greife. Wie dort Menschen behandelt werden, sei skandalös und beschämend. In das Postgesetz gehöre daher ein grundsätzliches Verbot des Subunternehmertums in der Branche. Einige in der Politik meinen, es brauche keine Lizenzpflicht, auch nicht in der Briefzustellung. „Das ist ein Irrweg, das ist ein Hammer! Das Gegenteil tut Not, auch in der Paketzustellung ist die Lizenzpflicht der einzig richtige Weg.“ Bundesarbeitsminister Hubertus Heil habe der Gewerkschaft in vielen Punkten zugestimmt, etwa der Gewichtsbeschränkung bei Paketen auf 20 kg im One-Man-Handling. „Leider stimmen uns längst nicht alle Abgeordneten zu.“
Die Arbeitsplätze in der Branche blieben nur erhalten, wenn die Post ausreichend finanziert wird, mahnte der ver.di-Vorsitzende. Die heiße Phase des Postgesetzes beginne jetzt, sie sei entscheidend für die Zukunft von 190.000 Arbeitsplätzen in Deutschland. Daher müsse die Finanzierung des Postdienstes ins Postgesetz aufgenommen und sichergestellt werden. „Wir werden den Abgeordneten in ihren Wahlkreisen so lange auf den Keks gehen, bis sie auf uns hören.“
Mit aller Kraft!
Die stellvertretende ver.di-Vorsitzende Andrea Kocsis ist im ver.di-Bundesvorstand für die Branche zuständig. „Super, dass ihr hier seid“, lobte sie, „Ihr zeigt Gesicht, zeigt, dass das Postgesetz Euch direkt betrifft. Es darf nicht hinter verschlossenen Türen von Menschen, die nicht die geringste Ahnung von eurer Arbeit haben, ausgehandelt werden.“
Nun habe Klaus Müller, Präsident der Bundesnetzagentur, vorgeschlagen, dass Briefe an einem Tag weniger pro Woche zugestellt werden könnten. „Das würde auf einen Schlag 10.000 Arbeitsplätze kosten!“, protestierte Kocsis. Außerdem befürworte Müller eine Flexibilisierung der Arbeitszeiten, sodass Beschäftigte sozusagen auf Abruf stünden. Solche Ideen könne man nur entwickeln, wenn man die Arbeitswirklichkeit nicht kenne. „Das unternehmerische Risiko auf die Beschäftigten zu verlagern, ist der schlechteste Vorschlag überhaupt“, verurteilte Kocsis den Vorschlag und versprach allen Teilnehmenden, dass ver.di mit aller Kraft gegen solche Vorstöße angehen wird.
Arbeitsplätze mit Perspektive
Eine kleine Talkrunde bildete den Abschluss der Veranstaltung. Rebecca, Stefan, Markus und Dennis, vier Postbeschäftigte aus verschiedenen Arbeitsbereichen, alle in der Arbeitnehmervertretung aktiv, konnten noch einmal ihre wichtigsten Wünsche für ein gutes Postgesetz äußern. Sie betonten einerseits die Wichtigkeit einer werktäglichen Zustellung für die Bürger*innen, die ein Recht auf einen zuverlässigen, sicheren und täglichen Postdienst als Teil der öffentlichen Daseinsvorsorge haben. Die im Eckpunktepapier vorgesehenen Änderungen würden stattdessen zu Laufzeitenverzögerungen führen. Vor allem aber wünschten sie sich Rahmenbedingungen, die sichere Arbeitsplätze mit Perspektive und einen fairen Wettbewerb gewährleisten.
Ute Bauer