Sein Herzensthema ist zurzeit das Streikrecht. Tahir Sogukkan ist Betriebsratsvorsitzender im DPD-Depot Duisburg, dort vertritt er die Interessen von rund 500 Beschäftigten. Zu seinem Bedauern stellte er bei den jüngsten Streikereignissen eine starke Polarisierung fest – nicht zuletzt befördert durch die mediale Berichterstattung. Das schaffe ein Klima, in dem Stimmen aus der Wirtschaft und der Politik lauter werden, die das Streikrecht verändern und begrenzen möchten. „Natürlich ist es im Einzelfall ärgerlich, wenn ein Reisender seine Bahn verpasst. Da ist noch viel Aufklärung über die Sachlage und die finanzielle Situation der Beschäftigten nötig“, meint Tahir.
Seine Ausbildung zum Industriemechaniker hat der 49-Jährige nicht bei DPD, sondern in der Stahlindustrie genossen. Im Alter von 20 Jahren fing er danach als Aushilfskraft im DPD-Depot Duisburg an. Inzwischen kann Tahir auf fast 30 Jahre Betriebszugehörigkeit zurückblicken. Zur Betriebsratsarbeit brachte ihn ein Schlüsselereignis: 2008 hatte die DPD GeoPost GmbH Duisburg den Paketumschlag an die nicht tarifgebundene Firma Ergo Logistics GmbH Duisburg outgesourct; betroffen waren 310 gewerblich Beschäftigte. Gegen dieses Manöver formierte sich in der Belegschaft massiver Widerstand; mit vielen Aktionen kämpfte sie dagegen an. Mit Erfolg: 2012 wurde der Paketumschlag wieder in die DPD GeoPost GmbH Duisburg eingegliedert. Tahir erinnert sich: „In dieser ereignisreichen Zeit merkte ich, dass es für mich höchste Eisenbahn war, aktiver zu werden. Ich nahm mir vor, mich mit dem Betriebsverfassungsgesetz und mit der Interessenvertretung der Beschäftigten zu befassen.“ Schließlich ließ sich Tahir für den Betriebsrat aufstellen, seit 2011 bekleidet er die Funktion des Betriebsratsvorsitzenden.
Tahir ist außerdem Mitglied des geschäftsführenden Ausschusses im Gesamtbetriebsrat von DPD Deutschland GmbH sowie Mitglied des Wirtschaftsausschusses. Zudem sitzt er in der Tarif- und in der Verhandlungskommission Nordrhein-Westfalen, wo es darum geht, Tarifverträge für die Speditions-, Logistik- und KEP-Branche zu verhandeln. Er betont: „Wir sprechen da von ca. 178.000 Beschäftigten!“
Organisationstalent in jeder Hinsicht
Um den Spagat zwischen den verschiedenen Aufgaben und Funktionen zu bewältigen, braucht es eine gute Portion Organisationstalent. „Das wurde mir ein Stück weit in die Wiege gelegt“, so Tahir lachend. Und als Papa von Drillingen konnte er diese Fähigkeit weiterentwickeln.
Im Laufe seiner Tätigkeit bei DPD hat Tahir berufsbegleitend zwei weitere Ausbildungen absolviert: Er ist Betrieblicher Mediator und Gesundheitsberater. „Beide Qualifikationen sind sehr hilfreich, wenn man mit Menschen arbeitet. Als Betrieblicher Mediator schalte ich mich ein, wenn Kolleginnen und Kollegen Konflikte miteinander haben. Ich versuche beiden Kontrahenten gerecht zu werden und unterstütze sie dabei, Lösungsansätze zu finden.“ Dabei gehe es darum, Argumente zu sortieren und den Beteiligten aktiv zuzuhören. „Wenn beide Seiten am Ende mit meiner Hilfe eine akzeptable Lösung finden, freut mich das sehr.“ Und weil die Arbeitsbedingungen in der Logistikbranche hart sind, brauchen die Mitarbeiter*innen Unterstützung, um trotz der schweren Arbeit körperlich und psychisch gesund zu bleiben. Dabei steht ihnen Tahir mit seinem Wissen als Gesundheitsberater zur Seite. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass ich die Betriebsratsarbeit ohne diese beiden Berufe adäquat ausüben könnte“, sagt er. Nach wie vor hat er Freude an dieser Tätigkeit, die auch zu seiner Persönlichkeitsentwicklung beigetragen hat: „Ich interessiere mich für Menschen, rede gern mit Menschen, kommuniziere gern mit Menschen“, erklärt er seine Motivation.
Gute Betriebsvereinbarungen getroffen
Stolz ist Tahir auf einige gute Betriebsvereinbarungen, die vom BR erreicht wurden. So werden beispielsweise 25 Prozent vom Tariflohn als Urlaubsgeld ausgeschüttet. „So etwas ist nicht selbstverständlich. Eigentlich muss das in einem Tarifvertrag geregelt werden.“ Ein Superkonzept sei auch, dass allen Menschen, die der deutschen Sprache nicht mächtig sind – im Betrieb werden 39 Sprachen gesprochen –, eine Patenschaft zur Seite steht: „Wir wollen für alle ein offenes Ohr haben. Mithilfe der Paten können wir auch Kolleginnen und Kollegen beraten, die kein oder nur wenig Deutsch sprechen. Darauf sind wir besonders stolz.“
Die KEP-Branche durchlebt derzeit stürmische Zeiten, Streiks sind nach Tahirs Überzeugung unausweichlich, da die Inflation die Kaufkraft der Bevölkerung stark geschwächt hat. Umso wichtiger sei es, dass in demokratischen Ländern eine vernünftige Streikkultur ihren Platz hat. „Beschäftigte wollen ihrem Arbeitgeber, bei dem sie ihr Brot verdienen, nicht schaden. Sie machen lediglich ihr gutes Recht geltend.“ Jedem sollte klar sein, dass das Streikrecht in Deutschland in Gesetzen und Verfassungsnormen fest verankert ist, mahnt Tahir. „Die Rechtsprechungen zum Grundgesetz, zum Tarifvertragsgesetz, zum Arbeitsgerichtsgesetz, aber auch zur Entsenderichtlinie der EU bestätigen Streiks als legitimes Mittel im Zuge von Tarifauseinandersetzungen. Vielen ist das nicht bewusst.“
Sehr wichtig sei es, nach Tarifauseinandersetzungen schnell einen Haken hinter das Geschehene zu setzen und sich auf das Tagesgeschäft zu besinnen. „Man muss sich wieder in die Augen sehen können, wenn alles vorbei ist.“ Bisher habe DPD alle Streikmaßnahmen mit Souveränität überstanden. „Darauf bin ich auch ein bisschen stolz.“ Denn Tahir ist überzeugt: Wenn in einem Unternehmen eine vernünftige Streitkultur herrscht, festigt dies die Identifikation der Beschäftigten mit dem Arbeitgeber. Unternehmen, die im Zuge von Streiksituationen zu unpopulären Maßnahmen greifen, verlören hingegen unweigerlich die Identifikation der Mitarbeitenden, was zu einem Riesenproblem führen kann. Er jedenfalls stehe mit seinen fast 30 Jahren Betriebszugehörigkeit fest zu seinem Unternehmen.
Tarifverhandlungen für NRW erfolgreich abgeschlossen
Ende April hat ver.di mit den Arbeitgeberverbänden in NRW ein Tarifergebnis erzielt. Tahir blickt als Mitglied der Tarif- und Verhandlungskommission auf fünf intensive Monate zurück. „Wir haben gleichzeitig für den Manteltarifvertrag und den Entgelttarifvertrag verhandelt“, erklärt er. Man habe für die Beschäftigten der Branche einen guten Abschluss erzielt, der die Inflation ausgleicht und für ein Plus in den Portemonnaies sorgt. Auch im Hinblick auf die Forderungen zum Manteltarifvertrag – etwa zum Urlaub – konnten Verbesserungen erreicht werden, freut sich Tahir. Bei den Tarifverhandlungen geht es inzwischen nicht zuletzt auch darum, die Branche attraktiver zu machen."
Nach getaner Arbeit abschalten kann Tahir als Familienmensch am besten bei Unternehmungen mit seiner Familie. Besonders liebt er das Fußballspielen mit seinen drei Söhnen – sie sind mittlerweile 18 Jahre alt und sein ganzer Stolz. Und wann immer es seine Zeit erlaubt, läuft er gern und viel: „Beim Joggen kann ich mich auspowern. Das ist Balsam für die Seele.“
Ute Christina Bauer