Ende September ist der harte Kampf von Truckern der polnischen Spedition Mazur zu einem erfolgreichen Abschluss gekommen. Zweieinhalb Monate hatten bis zu 120 Fahrer aus Georgien, Kasachstan, Tadschikistan, Usbekistan, der Ukraine und der Türkei auf der Raststätte Gräfenhausen bei Darmstadt ausgeharrt, um ausstehende Löhne einzufordern (be.wegen berichtete). Trotz aller Widrigkeiten hielten sie durch, auch mit Unterstützung des DGB-Beratungsnetzwerks Faire Mobilität, von ver.di und vieler Gewerkschaftsaktiver aus der Region. „Eine Koalition von Verantwortungsträgern aus der Lieferkette“ habe schließlich eine Lösung ermöglicht, berichtete Stefan Körzell vom DGB-Bundesvorstand.
Die Kollegen waren zwischenzeitlich so verzweifelt, dass 30 von ihnen eine Woche in den Hungerstreik traten. Mazur habe „einen humanitären Krieg“ gegen sie geführt, erklärte Edwin Atema, den die Trucker zu ihrem Verhandlungsführer bestimmt hatten. „Diese Fahrer waren unsichtbar in den Lieferketten des europäischen Straßentransports, doch jetzt haben sie den Weg zu fundamentalen Veränderungen angeführt. Sie sind nicht mehr unsichtbar, sondern unbesiegbar“, so der niederländische Gewerkschafter. Ihr Protest habe die Verletzung von Arbeits- und Menschenrechten in der Transportbranche ins Rampenlicht gerückt.
Ein Mittel, die Situation zu verbessern, könnte das Lieferkettensorgfaltsgesetz sein, für dessen Kontrolle das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) zuständig ist. be.wegen sprach mit dem BAFA-Präsidenten Torsten Safarik über die Konsequenzen aus den Ereignissen in Gräfenhausen.
be.wegen: Die wochenlange Protestaktion von Fahrern der polnischen Spedition Mazur auf dem Rastplatz Gräfenhausen bei Darmstadt hat ein Schlaglicht auf die zum Teil menschenunwürdigen Arbeitsbedingungen in der Transportbranche geworfen. Sie haben am 16. Oktober mit Gewerkschaften, Arbeitgeberverbänden und Nichtregierungsorganisationen darüber diskutiert, wie solche Situationen in Zukunft vermieden werden können. Mit welchen Ergebnissen?
Torsten Safarik: Wir haben gut vier Stunden die Situation analysiert und beraten, wie wir gemeinsam Verbesserungen erreichen können. Wir waren uns einig, dass dies der Auftakt zu weiteren Treffen sein soll, das nächste ist für Januar 2024 geplant. Das BAFA wird voraussichtlich bis Sommer 2024 eine Handreichung dazu erarbeiten, was Unternehmen in der Transportbranche tun können, um menschenrechtliche Risiken zu minimieren. Dies tun wir natürlich im Dialog mit den Teilnehmenden des Treffens und allen anderen -Stakeholdern der Branche. Für die Handreichung haben wir bereits zwei Kernthemen identifiziert: Das eine ist die Untervergabe von Aufträgen, das andere die kurzfristige Vergabe von Aufträgen über den Spotmarkt. Beides birgt ein hohes Risiko in Bezug auf die menschenrechtliche Situation.
be.wegen: Es ist wohl unstrittig, dass Mazur grundlegende Arbeitnehmerrechte verletzt hat. Das Unternehmen transportierte auch Waren deutscher Großunternehmen, die unter das Lieferkettensorgfaltsgesetz fallen. Wie gehen Sie damit um?
Torsten Safarik: Wir waren mit zwei Prüfteams vor Ort in Gräfenhausen und haben uns von den Fahrern freiwillig die Frachtpapiere zeigen lassen. Diejenigen Unternehmen, deren Waren von Mazur transportiert wurden und die unter das Lieferkettensorgfaltsgesetz fallen, werden von uns Post bekommen. Wir werden sie zum Beispiel fragen, was sie getan haben, um Menschenrechtsverletzungen zu vermeiden, wie sie bereits beim ersten Protest von Mazur-Fahrern im April in Gräfenhausen offenbar geworden sind.
be.wegen: Sämtliche dieser Unternehmen erklärten auf Presseanfragen, keine direkten Vertragsbeziehungen zu dem polnischen Spediteur zu unterhalten. Ist diese Erklärung ausreichend?
Torsten Safarik: Nein. Denn beim Lieferkettensorgfaltsgesetz geht es nicht nur um die unmittelbaren Vertragsbeziehungen, sondern auch um die Tiefe der Lieferketten. Die betreffenden Unternehmen sind verpflichtet, regelmäßig, aber auch anlassbezogen Untersuchungen durchzuführen. Ein solcher Anlass hätte beispielsweise der erste Protest in Gräfenhausen im April sein können. Wir haben anhand der Frachtpapiere festgestellt, dass die Mazur-Lkw Waren von 58 Firmen geladen hatten, die unter das Lieferkettensorgfaltsgesetz fallen. Das sind fünf Prozent aller Unternehmen, für die das Gesetz gilt – überraschend viele! Hinzu kommen rund 70 Unternehmen, die weniger als 3.000 aber mehr als 1.000 Beschäftigte haben. Für diese gilt das Gesetz ab dem 1. Januar 2024. Jetzt bekommen sie natürlich keine Post von uns. Wir werden sie aber im kommenden Sommer fragen, wie sie mit dem Risiko von Menschenrechtsverletzungen im Transportsektor umgehen.
be.wegen: Wozu genau verpflichtet das Lieferkettengesetz deutsche Unternehmen?
Torsten Safarik: Das Gesetz soll einen Beitrag dazu leisten, dass grundlegende Menschenrechte und einige umweltbezogene Rechte in den weltweiten Lieferketten eingehalten werden. Dafür definiert es Sorgfaltspflichten. Die Unternehmen sind dazu verpflichtet, sich zu bemühen, Verletzungen zu erkennen, zu minimieren und für die Zukunft möglichst zu verhindern.
be.wegen: Und welche Möglichkeiten hat das BAFA, dafür zu sorgen, dass deutsche Unternehmen das auch umsetzen?
Torsten Safarik: Wir führen zum Beispiel risikobasierte Kontrollen durch. Wir scannen die Medienlandschaft, um mögliche Verletzungen zu erkennen. Man kann auch Beschwerden bei uns einreichen. Wenn wir den Verdacht haben, dass Menschen- oder Umweltrechte verletzt werden, können wir Unternehmen verpflichten, uns Auskunft zu geben. Wir könnten auch vor Ort bei ihnen die Bücher kontrollieren. Und im Fall der Fälle können wir Bußgelder von bis zu acht Millionen Euro bzw. zwei Prozent des Jahresumsatzes verhängen. Unser Ziel ist es allerdings nicht, Sanktionen zu verhängen, sondern die Unternehmen dabei zu unterstützen, die Situation zu verbessern.
be.wegen: Zumindest in der öffentlichen Wahrnehmung hat das Lieferkettengesetz bislang keine praktische Wirkung entfaltet. Ist nach den Vorfällen in Gräfenhausen und der dadurch erzeugten Öffentlichkeit zu erwarten, dass sich das jetzt ändert?
Torsten Safarik: Diesen Eindruck teile ich nicht – im Gegenteil. Das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz ist in aller Munde und die meisten Unternehmen setzen sich ernsthaft mit dem Gesetz auseinander. Ich selbst war allein in diesem Jahr schon auf über 50 Veranstaltungen, bei denen es um das Thema ging. Da ist also sehr viel Bewegung drin – nicht erst seit Inkrafttreten des Gesetzes Anfang 2023, sondern schon seit dessen Verabschiedung im Sommer 2021. Viele Unternehmen haben sich in dieser Zeit intensiv darauf vorbereitet. Andere sind ohnehin schon lange darauf bedacht, den Schutz von Menschen- und Umweltrechten sicherzustellen. Andere brauchen noch einen Anstoß, hier besser zu werden. Wir unterstützen sie dabei.
Interview: Daniel Behruzi