Gegen prekäre Arbeitsbedingungen in der Paketbranche

09.03.2022

 

Der Arbeitsalltag in der Paketbranche ist körperlich und psychisch herausfordernd. Oft genug gehen die Arbeitgeber hier über die Belastungsgrenze der Beschäftigten hinaus: Lange Arbeitszeiten, schwere Pakete und befristete Arbeitsverträge – ver.di setzt sich gemeinsam mit den Betriebsräten aus der Branche konsequent für eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen ein.

Im dichten Verkehr bei allen Witterungsverhältnissen mit 200 Paketen auf der Straße unterwegs und auf der Suche nach einen Parkplatz: Stress pur. Nach der Parkplatzsuche muss ein 30 Kilogramm schweres Paket in die fünfte Etage. Ein Aufzug? Fehlanzeige. Und oft ist niemand anzutreffen. Mit viel Glück ist ein*e Nachbar*in bereit, das Paket anzunehmen.

„Die Paketzustellung ist geprägt durch lange Arbeitszeiten, viel Verkehr und wenig Halteplätze in Großstädten. Die Pakete sollen wir aber am besten direkt vor die Haustür und bis in die oberste Etage liefern. Wer hat sich dafür das letzte Mal bei seinem Paketlieferanten bedankt? Wir alle sollten den Beschäftigten öfters einmal Danke sagen für ihre tolle Arbeit.“

Andreas Kassler, GBR-Vorsitzender UPS

Alle Pakete in der regulären Arbeitszeit auszuliefern ist immer eine Herausforderung. Im Starkverkehr sammeln sich die Überstunden nur so an: Dort müssen von den Zusteller*innen doppelt so viele Pakete pro Tag ausgeliefert werden. Es kommt vor, dass für ein Paket ein*e Zusteller*in nur etwas mehr als eine Minute Zeit hat – kaum zu schaffen.

Die Anzahl der Sendungen hat sich in Deutschland in elf Jahren mehr als verdoppelt: Von 2,1 Milliarden im Jahr 2010 auf 4,5 Milliarden im Jahr 2021. Im gleichen Zeitraum wurde aber nicht genügend Personal eingestellt, um die Paketmenge bei gleichzeitig guten Arbeitsbedingungen zustellen zu können.

„Kurz vor Weihnachten werden bis zu 22 Millionen Pakete verschickt. Und nicht nur leichte Sachen, sondern auch Bremsscheiben und Möbelstücke. Da wir häufig schwere Pakete tragen, ist das Risiko von Muskel-Skelett-Erkrankungen hoch. Wir brauchen gesundheits-fördernde Maßnahmen und ein betriebliches Gesundheitsmanagement, um die Gesundheit der Beschäftigten zu erhalten.“

Gabriel Javsan, GBR-Vorsitzender DPD Deutschland

Schwere Last – Tag für Tag

ver.di fordert deshalb die Begrenzung des zulässigen Gewichts auf 20 Kilogramm pro Paket. Darüber hinaus muss es eine Kennzeichnungspflicht für schwere Pakete geben, die gut sichtbar ist, damit sich die Beschäftigten bei der Zustellung der Pakete auf das Gewicht einstellen und Hilfsmittel, wie eine Sackkarre, nutzen können.

Die Unsicherheit fährt mit

Rund 550.000 Beschäftigte zählen die Kurier-, Express- und Paketdienste insgesamt (2020). Viel zu oft arbeiten diese nur mit einem befristeten Arbeitsvertrag: Das bedeutet soziale Unsicherheit für die Kolleg*innen. Um Befristungen entgegenzuwirken und die Arbeitgeber in die Pflicht zu nehmen, hat ver.di die Initiative „(un)befristet“ ins Leben gerufen. Mehr Informationen findest du dazu hier.

 

„Die Arbeitsverhältnisse von heute kann man nicht mehr mit denen von vor 30 Jahren vergleichen. Wir haben bei Hermes aktuell eine Befristungsquote von 20 bis 40 Prozent. Darüber hinaus werden viele Kolleg*innen nur mit 20-Stunden-Verträgen eingestellt, aber Mehrarbeit wird erwartet. Sie können dann bei keinem zweiten Arbeitgeber arbeiten und müssen schauen, wie sie über die Runden kommen. Wir müssen diesen prekären Beschäftigungsverhältnissen ein Ende bereiten.“

Heinz Reisen, GBR-Vorsitzender Hermes

 

Sicher und fair – mehr Tarifbindung muss her!

Immer weniger Fahrer*innen arbeiten unter einem Tarifvertrag. Viele sind nicht direkt bei einem der Paketunternehmen angestellt, sondern bei Subunternehmen – „natürlich“ ohne Tarifbindung. Das Gehalt liegt hier oft auf dem Niveau des Mindestlohns. ver.di fordert, dass die großen KEP-Unternehmen ihre Beschäftigten direkt anstellen und die Zustellung – ihr Kerngeschäft – nicht mehr an Subunternehmen auslagern.

Auch der Staat ist hier in der Pflicht: Durch ein Tariftreuegesetz in der Branche könnten öffentliche Aufträge nur noch an tarifgebundene Unternehmen vergeben werden. Das wäre ein deutliches Zeichen, dass man es mit guten Arbeitsbedingungen ernst meint!

„Wir brauchen einheitliche Standards und Arbeitsbedingungen bei allen Zusteller*innen in der Branche, um den Kostendruck auf die Unternehmen zu senken. Zum Beispiel ein einheitliches Gehalt und gleiche Arbeitszeiten. Dass die Fahrer*innen darüber hinaus noch bei Subunternehmen beschäftigt sind, ist ein großes gesellschaftliches Problem. Sie müssen die schlechten Bedingungen ausbaden, obwohl sie eigentlich mehr Wertschätzung für ihre tolle Arbeit verdient haben.“

Hartmut Schul, GBR-Vorsitzender FedEx

Amazon – Arbeit mit Subunternehmen und Scheinselbstständigkeit

Amazon geht noch weiter: Durch das Amazon-Flex-Modell lagert der Riesenkonzern die Zustellung an Solo-(Schein)-Selbstständige aus. Mit Privat-PKW werden Pakete auf eigene Verantwortung zu einem Festpreis pro Paket zugestellt. Zieht man Kosten für Fahrzeug, Versicherungen, Betriebskosten etc. ab, landet man oft sogar unter dem Mindestlohn.

„Amazon verweigert sich jedem Tarifvertrag. Unliebsame Beschäftigte, welche sich für bessere Arbeitsbedingungen einsetzen, werden vor die Tür gesetzt – das geht mit befristeten Verträgen ja ganz leicht. Darüber hinaus schiebt Amazon seine Gewinne dorthin, wo am wenigsten Steuern zu zahlen sind. Damit hat Amazon einen Wettbewerbsvorteil. Es geht aber um gleiche Wettbewerbsbedingungen für alle Anbieter, aber Amazon entzieht sich dem. Deshalb müssen Steuerschlupflöcher geschlossen werden.“

Thomas Held, GBR-Vorsitzender Deutsche Post

Die Zustellung von Paketen über Solo-(Schein-)Selbstständige hat für Amazon noch einen weiteren Vorteil: Sie entziehen sich damit der Verantwortung als Arbeitgeber, sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze zu schaffen. Jedes Risiko wird auf die*den Zusteller*in abgewälzt.

ver.di fordert, dass alle Unternehmen die Pakete zustellen, dazu zählen auch Versandhändler mit eigener Zustellorganisation (wie Amazon), unter die Lizenzpflicht des Postgesetzes fallen. Damit müssen die Paketdienstleister die folgenden Bedingungen einhalten: Die erforderliche Leistungsfähigkeit, Zuverlässigkeit und Fachkunde besitzen, die öffentliche Sicherheit und Ordnung nicht gefährden und die wesentlichen Arbeitsbedingungen einhalten.

„In der KEP-Branche hat die prekäre Beschäftigung inzwischen ein unerträgliches Maß angenommen. Kontrollen des Zolls belegen Sozialversicherungsbetrug, Unterschreiten des Mindestlohns, Schwarzarbeit und illegale Beschäftigung sowie systematischen Betrug an Arbeitnehmer*innen, die bei Subunternehmen beschäftigt sind und häufig aus Osteuropa kommen.“

Andrea Kocsis, stellvertretende ver.di-Vorsitzende

Nur mit verstärkten Kontrollen, schärferen gesetzlichen Regelungen und höheren Strafen ist dem unsäglichem Treiben dieser Unternehmen das Handwerk zu legen.

 

ver.di fordert

  • Eigenbeschäftigung der Zusteller*innen bei den großen KEP-Dienstleistern.
  • Verstärkte Betriebsprüfungen durch die Träger der Sozialversicherungen, um scheinselbstständige Beschäftigungsverhältnisse aufzudecken.
  • Ausweitung der Nachunternehmerhaftung auf die gesamte Logistik-Branche.
  • Stärkung des Arbeits- und Gesundheitsschutzes für die Beschäftigten.
  • Kennzeichnung von schweren Paketen.
  • Begrenzung des einzelnen Pakets auf maximal 20 Kilogramm.
  • Stärkung der Tarifbindung in der Branche.
  • Verstärkte Kontrollen durch den Zoll gegen Schwarzarbeit und Einhaltung des gesetzlichen Mindestlohns.
  • Ausweitung der Lizenzpflicht auf die Paketbranche.        

 

Am 10. Dezember 2021 fand eine Pressekonferenz in der ver.di-Bundesverwaltung statt. Gemeinsam mit ver.di forderten die Gesamtbetriebsratsvorsitzenden der fünf großen KEP-Dienstleister (DPD, UPS, Hermes, FedEx und DHL) von der neuen Bundesregierung ein entschlossenes Vorgehen gegen Ausbeutung und prekäre Arbeitsbedingungen in der KEP-Branche (Kurier-, Express- und Paketdienste).

Mehr Infos dazu findest du hier.