Aufsichtsrat Deutsche Post AG

12.07.2024
Thorsten Kühn

Den Betriebsrat kennt eigentlich jeder. Was aber hat es mit dem Aufsichtsrat auf sich, in dem ebenfalls Arbeitnehmer*innen- und Gewerkschaftsvertreter*innen sitzen? Auch diese werden von den Beschäftigten im Rahmen der Mitbestimmung für fünf Jahre gewählt. Der amtierende Aufsichtsrat der Deutschen Post AG ist seit Mai 2023 im Amt.

Der Aufsichtsrat ist bei größeren Unternehmen ein Kontroll- und Beratungsgremium, das die Arbeit des Vorstands überwacht. Außerdem ist ein Untergremium, der Präsidialausschuss, für die Bestellung und Abberufung von Vorstandsmitgliedern verantwortlich. In die tägliche Geschäftsführung greift er nicht ein.

Zusammengesetzt ist der Aufsichtsrat aus Vertreter*innen der Anteilseigner*innen der Aktien und der Arbeitnehmer*innen. In Unternehmen mit mehr als 2.000 Beschäftigten, wie der Deutschen Post AG, sind die Aufsichtsräte paritätisch besetzt, die Arbeitnehmer*innen stellen also die Hälfte der Mitglieder. Bei der Deutschen Post besteht das Gremium aus 20 Personen, von diesen vertreten zehn die Interessen der Anteilseigner und zehn die der Arbeitnehmer. ver.di konnte alle Arbeitnehmermandate erlangen.

Einen Haken hat die Sache: Der Vorsitzende wird stets aus der Runde der Anteilseigner gewählt; zurzeit ist dies Nikolaus von Bomhard, früherer Vorstandsvorsitzender der Münchener Rückversicherungs-Gesellschaft. Er verfügt über ein Doppelstimmrecht. In strittigen Fällen kann er diese Karte ziehen und die Arbeitnehmerseite überstimmen. „Das hat er in meiner Zeit zwar noch nie getan. Es kann dennoch mühselig sein, dass wir in diesem Gremium nie eine Mehrheit haben. Wir müssen mit Argumenten und Diskussionen überzeugen“, sagt Thorsten Kühn, Bundesfachgruppenleiter Postdienste, der seit 2020 im Aufsichtsrat der Deutschen Post sitzt. Stellvertretende Vorsitzende ist Andrea Kocsis, Leiterin des ver.di Bundesfachbereichs Postdienste, Speditionen und Logistik. „So hat die Arbeitnehmerseite ein gewichtiges Wörtchen mitzureden“, betont Kühn.

 

Erkämpfte Rechte wahrnehmen

Vom Himmel gefallen ist die Unternehmensmitbestimmung nicht, die Gewerkschaftsbewegung hat sie vor vielen Jahrzehnten hart erstreiten müssen. „Solche Rechte muss man wahrnehmen, sonst verschwinden sie ganz schnell wieder. Deswegen ist es wichtig, dass die Arbeitnehmerseite im Aufsichtsrat vertreten ist“, erklärt Kühn. Wissenschaftliche Studien geben ihm Recht: Demnach schneiden mitbestimmte Unternehmen in mehrfacher Hinsicht besser ab. Sie haben höhere Umsätze, investieren mehr in Gebäude, Maschinen, Patente oder Marken und verfolgen längerfristige Strategien. Sie bieten eine höhere Beschäftigungssicherheit und bessere Arbeitsbedingungen als Unternehmen ohne Mitbestimmung im Aufsichtsrat.

ver.di setzt sich im Aufsichtsrat dafür ein, dass die Belange der Beschäftigten bei unternehmerischen Entscheidungen berücksichtigt werden. Die Gewerkschaft dringt auf Investitionen in bessere Arbeitsbedingungen, sie macht sich für eine solide und zukunftsorientierte Unternehmenspolitik stark. Ganz oben steht die Arbeitsplatzsicherheit.

 
Silke Busch

Einblick in komplexe Prozesse

Silke Busch ist freigestellte Betriebsrätin in der Niederlassung Betrieb Münster. Sie sitzt seit Mai 2023 im Aufsichtsrat der Deutschen Post. Sie findet es wichtig, dass sowohl betriebliche als auch überbetriebliche gewerkschaftliche Vertreter*innen der Arbeitnehmerseite im Gremium sind. „Die Überbetrieblichen kennen die ganze Branche, sie wissen auch, wie es in anderen Unternehmen aussieht. So können sie Vergleiche anstellen. Die betrieblichen Arbeitnehmervertreter*innen haben noch einmal einen anderen Blick auf die Beschäftigtenseite, wir sind noch näher dran.“ Es sei spannend, hinter die Kulissen schauen zu können und einen Eindruck zu erhalten, auf welcher Grundlage Entscheidungen gefällt werden. „Die Komplexität dieser Prozesse ist wirklich immens.“

Für Thorsten Kühn und Silke Busch bringt die Aufsichtsratstätigkeit viel Arbeit mit sich. Auf jährlich vier bis fünf Sitzungen gilt es, sich vorzubereiten. „Dafür muss ich mich schlau lesen“, sagt Silke. Und Thorsten Kühn ergänzt: „Die Vorlagen für eine Sitzung umfassen schnell mal 250 bis 300 Seiten, das ist unfassbar viel Stoff.“ Dass er zusätzlich im Präsidialausschuss sitzt, bedeutet für ihn weitere vier Sitzungen pro Jahr. An der Sinnhaftigkeit ihrer Tätigkeit zweifeln dennoch beide nie.

Ute C. Bauer