Der erfolgreiche Protest osteuropäischer Lastwagenfahrer vom April dieses Jahre macht Schule: Erneut haben sich Trucker des polnischen Unternehmens Mazur auf dem Rastplatz Gräfenhausen bei Darmstadt versammelt. Wie damals fordern sie die Zahlung ausstehender Gelder – und nehmen dabei auch die Kunden der skandalgeschüttelten Spedition in die Pflicht.
"Wir brauchen Hilfe, damit diese Sauerei aufhört."
»Dass wir nach drei Monaten wieder hier stehen müssen, ist eine Schande für ganz Europa«, findet der Georgier Nikoloz Maisuradse*, der schon im April dabei war. Damals hatten rund 65 Kollegen wochenlang an der A5 ausgeharrt und so erreicht, dass Mazur seine Schulden bis auf den letzten Cent begleichen musste – insgesamt 303.363,36 Euro. Doch offenbar hat der Spediteur seine Praktiken seither nicht geändert. Mitte Juli stoppten wieder Mazur-Beschäftigte in Gräfenhausen. Anfänglich zahlte das Unternehmen sie schnell aus, doch es kamen immer mehr. Derzeit stehen gut 120 Fahrer an der Raststätte und warten auf ihr Geld. Darunter auch der Familienvater Maisuradse, dem Mazur seinen Angaben zufolge 4.250 Euro schuldet. »Er steckt sich das Geld in die Tasche, das für unsere Kinder bestimmt ist«, schimpft er. »Wir brauchen Hilfe, damit diese Sauerei aufhört.«
Hilfe bekommen die Fahrer von Gewerkschaftsaktiven aus der Region, die regelmäßig Nahrungsmittel vorbei bringen. Da die Duschen am Rastplatz kaputt sind, hat der örtliche DGB einen Pendelservice eingerichtet: Zweimal pro Woche werden die Kollegen zu einer Sporthalle nach Darmstadt gefahren, um dort zu duschen. Ehrenamtliche »Waschpaten« sammeln die Kleidung der Fahrer ein und bringen sie gewaschen wieder zurück. Unterstützung erhalten sie auch vom DGB-Beratungsnetzwerk »Faire Mobilität« und dem niederländischen Gewerkschafter Edwin Atema, den die Fahrern zu ihrem Verhandlungsführer bestimmt haben.
"Wenn einer nicht ausbezahlt wird, bleiben wir alle hier."
Zu Beginn verhandelten die aus Georgien, Tadschikistan, Usbekistan, Kirgistan und Kasachstan stammenden Fahrer individuell. Als Mazur versprach, ihre Forderungen unter der Bedingung zu erfüllen, dass sie 20 Lkw mit wichtiger Fracht herausgeben, taten sie dies. Doch der Unternehmer brach wieder einmal seine Zusagen. Die Fahrer haben daraus gelernt. »Wir haben beschlossen, nicht mehr einzeln, sondern kollektiv zu verhandeln«, sagt der Usbeke Timur Sultanov*. »Wir müssen solidarisch sein. Wenn einer nicht ausbezahlt wird, bleiben wir alle hier.«
Der Vater von vier Kindern ist nach Deutschland gekommen, weil er gehört hat, dass die Trucker hier unterstützt und geschützt werden. »Hier können wir Gerechtigkeit bekommen, in Polen ist das nicht möglich«, glaubt der 49-Jährige, dem Mazur nach seinen Angaben 4.600 Euro schuldet. Auch zuvor sei die Bezahlung oft verspätet gekommen, berichtet er. Zudem habe das Unternehmen immer wieder Beträge ohne Erklärung und Belege abgezogen. Auf Beschwerden habe es nie reagiert.
Von Abzügen berichten auch andere Kollegen. So würden zum Beispiel Strafzahlungen wegen Verstößen gegen das Kabinenschlafverbot vom Unternehmen einbehalten. Laut EU-Gesetzgebung muss den Fahrern für ihre wöchentlichen Ruhezeiten eine Unterkunft zur Verfügung gestellt werden. Doch Mazur macht das den Berichten zufolge nicht – und wälzt die Strafen auf die Fahrer ab.
Wie der polnische Spediteur Arbeitsschutzgesetze umgeht, zeigt auch ein weiteres Beispiel. »Wir haben Dokumente vorliegen, mit denen Beschäftigte auf ihr Recht verzichten, höchstens vier Wochen im Einsatz zu sein«, sagt Edwin Atema. »Sie mussten das Dokument unterschreiben, wussten aber gar nicht, was drinsteht, weil es in einer ihnen fremden Sprache verfasst ist.«
"In Gräfenhausen stehen Menschen."
Für Stefan Thyroke, der bei ver.di den Bereich Logistik leitet, zeigt der wieder aufgeflammte Protest in Gräfenhausen, »wohin der über die niedrigsten Personalkosten ausgetragene Wettbewerb im europäischen Transportgewerbe führt«. Um das Sozialdumping zu beenden, brauche es einheitliche arbeitsrechtliche Standards, zum Beispiel über einen europäischen Mindestlohn und die konsequente Umsetzung der Entsenderichtlinie. »Vor allem müssen Vorgaben auch kontrolliert und durchgesetzt werden«, fordert der Gewerkschafter. »Doch es gibt praktisch keine Kontrollen – und das ist ganz offensichtlich politisch auch so gewollt.«
Um eine Lösung des Konflikts in Gräfenhausen herbeizuführen, nehmen die Trucker die Konzerne in die Pflicht, die – meist vermittelt über ein verzweigtes System von Subunternehmen – die Dienste von Mazur in Anspruch nehmen. Darunter seien Firmen wie Audi, Porsche und Red Bull sowie die Logistikunternehmen DHL und Intercargo. Thyroke verweist darauf, dass beispielsweise DHL nach dem April-Protest erklärt hat, nicht mehr mit Mazur zusammenzuarbeiten. »Das ist gut, doch offensichtlich reichen einfache Sicherheitsmaßnahmen nicht aus«, erklärt der Gewerkschafter. »Die Konzerne müssen Transparenz schaffen und sicherstellen, dass die Transporte nicht am Ende doch von Unternehmen durchgeführt werden, die Arbeitnehmerrechte mit Füßen treten.«
Auch die Firmen aus Industrie und Einzelhandel, deren Waren transportiert werden, dürften sich nicht wegducken. »Sie müssen Verantwortung übernehmen und dafür sorgen, dass die Fahrer ihr Geld bekommen«, fordert Thyroke. »Denn es geht nicht nur um Geschäftsbeziehungen und Verträge. In Gräfenhausen stehen Menschen.«
*Namen geändert
Der ver.di-Bundeskongress hat den Fahrern in Gräfenhausen mit einer Solidaritätsadresse ihre Unterstützung ausgesprochen. Zu einer Spendenaktion wurde auch aufgerufen. Die Katholische Arbeitnehmerbewegung (KAB) des Bistums Trier hat unter dem Stichwort "Gräfenhausen" ein Spendenkonto eingerichtet. Die Spenden werden von der KAB weitergeleitet an die "Road Transport Due Diligence Foundation" (RTDD), die ihren Sitz in Holland hat. Kolleg*innen der RTDD sind in Gräfenhausen im Einsatz und unterstützen die Fahrer mit Lebensmitteln.