Wir sagen zusammen Halt!

04.04.2024

Demokratie wird im Betrieb erlebt. Sie ist aber abhängig von den Menschen, die sich für demokratische Prinzipien stark machen. Ein Beispiel dafür ist Diana Kurzweg, Verbundzustellerin und ver.di-Vertrauensfrau bei der Deutschen Post AG im Zustellstützpunkt (ZSP) Schönberg in der Niederlassung Kiel. Wir haben mit ihr über die zunehmende Stärke rechtspopulistischer Strömungen sowie die bevorstehende Europawahl und ihre persönlichen Erfahrungen als Vertrauensfrau gesprochen.

Hallo Diana, deine Betriebsrätin, Nadine Hamann, hatte dir neulich Fragen zum Umgang mit rechtem Gedankengut gestellt und gefragt, warum es wichtig ist, Flagge zu zeigen und zur Europawahl zu gehen. Was hat das bei euch im ZSP ausgelöst?

Diana: Ich war im intensiven Gespräch mit allen meinen Kollegen bei mir im ZSP Schönberg mit Migrationshintergrund. Sie mussten alle fliehen, weil es in ihren Ländern eben keine Demokratie gibt. Sie sehen eine große Notwendigkeit in Deutschland, jetzt für den Demokratieerhalt zu kämpfen. Sie hatten aber Angst, sich öffentlich dazu zu äußern. Nach langem hin und her ist ihre Angst aber zu groß, dass es durch ihr Statement zu Repressalien gegen ihre zurückgebliebenen Familien kommt und sie haben Angst, dass ihre Meinungsäußerung ihrem Einbürgerungsprozess entgegenwirkt.

 
Kolleg*innen aus der Niederlassung Kiel bei der Demo für Vielfalt und Demokratie in Kiel am 27. Januar 2024

Liebe Diana, das ist wirklich traurig. Deshalb ist es so wichtig, dass es mutige Menschen wie dich gibt, die Flagge zeigen.

Diana: Meine Töchter leben in den USA. Meine Schwiegersöhne sind Palästinenser und Afroamerikaner. Mein Mann arbeitet seit gut 15 Jahren in Norwegen. Meine Schwägerin ist Peruanerin, Nichte und Neffe gemischt. Ich bin ein Muttertier durch und durch und habe gar keine Wahl!


Was würdest du den AfD-Wähler*innen sagen wollen?

Diana: Ihr habt das Gefühl, egal wen ihr wählt, für das Volk geht es wirtschaftlich immer weiter bergab und der Sozialstaat bröckelt vor sich hin? Ihr wollt nicht immer mehr leisten und immer weniger haben? Aus Protest wollt ihr AfD wählen?

Gleichzeitig habt ihr Angst: Vor Armut? Vor Arbeitsplatzverlust? Vor immer schlechter werdender medizinischer und pflegerischer Versorgung? Vor der Inflation? Vor unbezahlbaren Mieten? Ihr habt Angst davor, dass weder Zeit noch Energie für die Familie übrig bleiben? Vor dem Klimawandel und seinen spürbaren Auswirkungen auf euer tägliches Leben? Vor Kriegen und vor Gewalt?

Zu euren liebsten Menschen gehören auch welche, die nicht hetero sind und die Migrationshintergrund haben? Eine Behinderung? Oder gar links sind und sozial engagiert? Dann solltet ihr eure Protestwahl auf jeden Fall überdenken!


Für was steht für dich die AfD?

Diana: Die AfD möchte unter demokratischer Fassade die über Jahrzehnte erkämpfte demokratische Substanz, also die Macht des Volkes, unterwandern. Sie ist eine Partei der Reichen, kapitalistisch und marktradikal. Sie befürwortet immer dort Einsparungen, wo Arbeitnehmer, Kinder, Rentner und Erwerbslose betroffen sind. Sie überlegt, unter anderem Gewerkschaften, gesetzliche Mindestlöhne, den Kündigungsschutz, die Mietpreisbremse und die gesetzliche Arbeitslosenversicherung mit Arbeitgeberanteil zu kippen und das Rentenalter der steigenden Lebenserwartung anzupassen.

Im Gegenzug will sie aber die Erbschafts-, Schenkungs- und Grunderwerbssteuer abschaffen, also die Reichen von den Steuern für das Gemeinwohl befreien. Kommunen und Länder sollen selbst zusehen, wo sie andere Einkommensquellen generieren. Klimaschutz hält sie für überbewertet. Die so dringend von uns benötigten Ärzte, Kranken- und Altenpfleger, Handwerker, Bauarbeiter, Köche, Kellner, Verkäufer, Ingenieure, Zusteller mit Migrationshintergrund sollen abgeschoben werden. Ich frage mich, inwieweit würde irgendetwas von dem die Nöte des Volkes lindern? Es würde die Nöte doch eher verschlimmern!

 

„Als ginge es um die Vergabe der letzten Plätze auf der Arche.“

Wo liegen für dich die Ursachen für diese Spaltung?

Diana: Das, woran Mittel- und Unterschicht tatsächlich leiden, egal wo auf der Welt, ist die immer obszöner auseinanderklaffende Schere zwischen Reich und Arm. Wir leiden daran, dass Produktion und Gewissen getrennt sind und dass die Reichen nicht verpflichtet sind, einen angemessenen Beitrag fürs Gemeinwohl zu leisten. Geld ist genug da für die Probleme der Zeit, es ist nur zu ungleich verteilt.

 

Was könnte dann eine wirksame politische Antwort auf die Ungerechtigkeit bei dem gleichzeitigen Reichtum sein?

Diana: Die zielführende Antwort kann nicht sein, sich rechtsradikal gegeneinander aufstacheln zu lassen und sich im Verhältnis zur Welt in kleine nationale Gruppen zu separieren, als ginge es um die Vergabe der letzten Plätze auf der Arche. Wir entmachten uns dadurch selbst.


Was würde uns helfen?

Diana: Wir sollten uns stärker zusammenschließen, vernetzen und solidarisieren. Wir sollten untereinander offen bleiben, uns wertschätzen und gemeinsame Ziele anpacken, um zukunftsweisende Modelle zu entwickeln. Dafür müssen wir die Meinungsfreiheit pflegen, die Versammlungsfreiheit wahrnehmen und eine demokratische Mitbestimmung in allen Bereichen einfordern!

 

„Wir sollten uns stärker zusammenschließen, vernetzen und solidarisieren.“

Was heißt das für dich mit Blick auf die Europawahl?

Diana: Wir sollten gemeinsam für Freiheit, Gleichheit, Umweltschutz, Gewaltenteilung, Menschenrechte und Mitbestimmung einstehen und diese Werte regelmäßig in Wahlen verteidigen. Sonst werden sie uns schneller genommen, als wir blinzeln können. Autokratien und Oligarchien sind auf dem Vormarsch und dieser Prozess ist dann nur sehr schwer wieder umzukehren.

Am 9. Juni findet die Europawahl statt. Wer weiterhin frei in der EU reisen, arbeiten, studieren, leben und handeln möchte und es schätzt, überall kranken- und rentenversichert zu sein, und wer die Hauptziele der EU unterstützt, sollte wählen gehen. Für mich zählen zu den Zielen der EU die Eindämmung sozialer Ungerechtigkeit und Diskriminierung und die Stärkung des wirtschaftlichen und territorialen Zusammenhalts, um nicht zuletzt gegen andere Supermächte bestehen zu können.

Also erstens wählen gehen und zweitens nicht die AfD wählen, die sich zwar zur Wahl stellt, aber sowieso die EU verlassen möchte.

Liebe Diana, danke für das Gespräch mit dir!

 

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