Unsichtbare Behinderungen am Arbeitsplatz

05.07.2023

Anfang dieses Jahres wurde bei der Deutschen Post AG die Gesamtschwerbehindertenvertretung gewählt. Ina Spörrer ist als Vorsitzende nun für die Belange aller Schwerbehinderten, die im Unternehmen arbeiten, zuständig. Mit bewegen sprach sie über ihre Pläne für die laufende Amtszeit. Insbesondere soll der Fokus auf ein bisher weniger behandeltes Feld gelenkt werden, auf die unsichtbaren Behinderungen am Arbeitsplatz.

 
Unsichtbare Behinderungen

bewegen: Was habt Ihr euch für die Arbeit als Konzern- und Gesamtschwerbehindertenvertretung bei der Deutschen Post vorgenommen, nachdem ihr gewählt worden seid?

Ina Spörrer: Zunächst haben wir unsere Schwerpunktthemen festgelegt. Gemeinsam mit dem Gesamtbetriebsrat sowie der Gesamtjugend- und Auszubildendenvertretung bearbeiten wir diese Themen und schauen, welche Verbesserungen wir für Menschen mit Behinderung im Unternehmen erreichen können.

Wir wollen uns damit beschäftigen, wie die Inklusion von Menschen mit Behinderung aus den Werkstätten auf den ersten Arbeitsmarkt gelingt und wie das bei uns im Unternehmen funktionieren kann. Wir beschäftigen uns auch damit, wie Ausbildungen mit Behinderung gemeistert werden können.

Ein zunehmend wichtiges Thema für uns ist der demografische Wandel, den wir unter dem Stichwort „altersgerechtes Arbeiten“ bearbeiten.

bewegen: Welche Themen stehen bei euch derzeit im Mittelpunkt?

Ina Spörrer: Vom 22. bis 26. Mai fand bei der Deutschen Post DHL Group die DEIB-Woche statt. Die Abkürzung steht für Diversity, Equity, Inclusion and Belonging – zu Deutsch: Vielfalt, Chancengerechtigkeit, Inklusion und Zugehörigkeit. Dabei haben wir gemeinsam mit dem Konzern- und Gesamtbetriebsrat, aber auch mit Unterstützung des Arbeitgebers auf unsichtbare Behinderungen aufmerksam gemacht.

Der Konzern- und Gesamtbetriebsrat und die Konzern- und Gesamtschwerbehindertenvertretung haben zur DEIB-Woche hilfreiche Materialien über unsichtbare Behinderungen an die örtlichen Betriebsräte und Schwerbehindertenvertretungen übermittelt. Sie dienen dazu, mit den Kolleg*innen in den Niederlassungen und den Tochtergesellschaften das Thema zu diskutieren und somit auch dafür zu sensibilisieren.

Der Arbeitgeber hat einen Workshop über unsichtbare Behinderungen entwickelt. Dieser soll in Folge der DEIB-Woche nun in allen Niederlassungen durchgeführt werden.

bewegen: Der Begriff „unsichtbare Behinderung“ ist sicher nicht jedem geläufig. Was versteht Ihr darunter?

Ina Spörrer: Was versteht man im Allgemeinen unter einer Behinderung? Per Definition ist eine Behinderung eine dauerhafte körperliche oder psychische Beeinträchtigung, die die Betroffenen daran hindert, alltäglichen Aktivitäten im vollen Umfang nachzugehen.

Viele Beeinträchtigungen sieht man sofort – etwa, wenn jemand im Rollstuhl sitzt oder nur einen Arm hat. Bei unsichtbaren Behinderungen ist das anders. Es gibt verschiedene Arten davon – körperliche, seelische und sensorische Behinderungen sowie solche, die unter dem Begriff Neurodiversität zusammengefasst werden. Weil man nicht immer sofort erkennt, ob ein anderer Mensch von einer Behinderung betroffen ist, ist es wichtig, dafür sensibel zu sein. Wenn eine psychische Erkrankung oder eine sensorische Behinderung, wie Schwerhörigkeit, vorliegt, kann es sein, dass unsere Kolleg*innen leiden, ohne dass wir es bemerken.

 
Beispiele von unsichtbaren Behinderungen

bewegen: In welcher Weise können Kolleg*innen im Betrieb mit dem Thema umgehen?

Ina Spörrer: Es gibt vieles, was uns ausmacht – eine Behinderung ist nur ein Teil davon. Kolleg*innen im Betrieb sollten den Menschen sehen und nicht die Behinderung. Etwa zwei von drei Personen verhalten sich im Umgang mit Menschen mit Behinderung anders als sonst. Betroffene leiden häufig weniger an ihren Einschränkungen als vielmehr darunter, dass sie sich von der Gesellschaft missverstanden und nicht gesehen fühlen. Das muss nicht sein! Wir sollten offen auf die Kolleg*innen zugehen, ihnen zuhören, nicht vorverurteilen und fragen, ob man helfen kann.

Gerade seelische Erkrankungen und Behinderungen werden auch heute noch stigmatisiert. Dabei kommen psychische Erkrankungen in unserer Gesellschaft häufig vor und können jeden treffen: So ist ein Drittel der Erwachsenen innerhalb eines Jahres von einer psychischen Erkrankung betroffen. Am häufigsten sind dabei Angststörungen, Depressionen und Missbrauch bzw. Abhängigkeit von Alkohol. Inzwischen lassen sich psychische Erkrankungen jedoch meist gut behandeln.

bewegen: Was macht Ihr als Schwerbehindertenvertretung für die Kolleg*innen mit Behinderungen?

Ina Spörrer: Natürlich setzen wir uns für die Rechte aller Schwerbehinderten im Betrieb ein. Zum Beispiel prüfen wir, ob freie Arbeitsplätze mit schwerbehinderten Menschen besetzt werden können. Wir kümmern uns darum, dass Arbeitsstätten einschließlich der Betriebsanlagen, Maschinen und Geräte behinderungsgerecht eingerichtet und unterhalten werden: Dabei achten wir auf die Gestaltung der Arbeitsplätze, des Arbeitsumfelds, der Arbeitsorganisation und der Arbeitszeit. Insbesondere prüfen wir, welche Unfallgefahren an einem Arbeitsplatz vorliegen und bestehen darauf, dass dieser mit den erforderlichen technischen Arbeitshilfen ausgestattet wird.

Wir sind außerdem behilflich, wenn bei den zuständigen Versorgungsämtern ein Antrag auf Behinderung zu stellen ist oder bei der Bundesagentur für Arbeit ein Antrag auf Gleichstellung.

Wir führen persönliche Gespräche mit den schwerbehinderten Kolleg*innen im Betrieb, begleiten sie zu Betrieblichen Eingliederungsmanagement-Gesprächen (BEM), zu Personal- und Gesundheitsgesprächen oder auch zum Betriebsarzt. Mit dem Betriebsrat arbeiten wir eng zusammen; mit ihm überwachen wir die Einhaltung geltender Gesetze und Verordnungen für schwerbehinderte Menschen.

Auch arbeiten wir eng mit den zuständigen Integrations- und Inklusionsämtern, den Agenturen für Arbeit, der Rentenversicherung, den Krankenkassen und natürlich mit dem Arbeitgeber zusammen. Ein großes Anliegen ist es uns, dass möglichst jede*r Kolleg*in leidensgerecht bis zur Rente arbeiten kann.

bewegen: Welche Rolle spielt ver.di für Euch als Schwerbehindertenvertretung?

Ina Spörrer: ver.di unterstützt unsere Arbeit sehr – beispielsweise, indem sie unseren regionalen Arbeitskreisen der örtlichen Schwerbehindertenvertretungen Räume zur Verfügung stellt oder Tagungen in den Landesbezirken hauptamtlich betreut. Der kollegiale Austausch wird gefördert, behindertenpolitische Themen können platziert werden.

Die Arbeit der Konzern- und Gesamtschwerbehindertenvertretung wird von ver.di aktiv unterstützt. Die Gewerkschaft schafft den Rahmen, um allgemeine politische Themen sowie Themen der Deutschen Post AG und der Tochtergesellschaften zu diskutieren. Ohne ihre Unterstützung könnten wir unsere Arbeit nur halb so gut machen